Spielend zum Job?
20.11.2018
Sie wollen doch nur spielen...
Der Spielemarkt ist weiterhin im Vormarsch. Weil für die Generation der Millennials, vor allem Studierende einer Technischen Universität, der spielerische Umgang mit Inhalten am PC, dem Smartphone oder der Konsole längst zum Alltag gehört, wird versucht, potenzielle Nachwuchskräfte aus diesem Pool mit Online-Spielen abzuholen. Die Technologie dazu steht schon in den Startlöchern. „Serious Gaming“ oder „Recruiting Gamification“ oder „Recruitainment“ – wie auch immer man es nennen mag, die Tatsache, dass technische
Tools im Auswahlprozess verwendet werden, ist unbestritten und bereits Realität. Aber es ist nicht nur die technische Voraussetzung, warum aufs „Spielen“ zurückgegriffen wird. Es geht um das Interagieren, Unterhalten und Aktivieren. Im Grunde ist diese Idee nicht neu, nur im Recruiting ist dieses Format noch recht frisch.
Computerspiele sind ein wichtiger Teil der Unterhaltungskultur geworden. Die Branche hat sich inzwischen gut entwickelt und sich gegenüber den vorher entstandenen „passiven“ Unterhaltungskünsten wie dem Kino oder dem Theater etabliert. Das Attraktive an Computerspielen im Recruiting ist die Interaktion und was man über die Bewerber_innen erfahren kann. Es geht nicht nur um Fingerfertigkeit, Hand-Auge-Koordination oder eine gezielte visuelle Wahrnehmung, vielmehr interessieren die Recruiter_innen in diesem Zusammenhang die Kompetenzen der Bewerber_innen.
Durch das Navigieren durch Straßen oder Gebäude kann ein räumliches Vorstellungsvermögen getestet werden. Fähigkeiten wie schnelles Entscheiden, Kreativität oder vorausschauendes Planen sowie Problemlösungskompetenz sind wichtige Entscheidungskriterien bei der Suche nach dem/der perfekten Mitarbeiter_in. Schließlich möchte man sich sicher sein, dass der/die Mitarbeiter_in für das Unternehmen gute Arbeit leistet.
Viele Spiele werden nicht alleine, sondern in Teams gespielt, dadurch können Teamfähigkeit, Toleranz und Kommunikationsfähigkeiten gezeigt werden. Auch der Umgang mit Sieg und Niederlage ist eine Herausforderung – wie geht der/die Bewerber_in mit Konflikten um?
Gamer können oft sehr lange hochkonzentriert spielen, das erfordert eine Menge Ausdauer. Dabei könnte auch die Frustrationstoleranz getestet werden.
Mal eben schnell die Welt retten…
Diesen Mehraufwand an Zeit und Geld (Personalaufwand, Entwicklung, Kommunikation etc.) nehmen viele Unternehmen im so genannten „War of Talents“ gerne in Kauf. Bei Unilever zum Beispiel startete man 2016 im deutschsprachigen Raum einen digitalen Prozess, der
Online-Spiele mit Videointerviews verbindet, um die besten und vielversprechendsten Bewerber_innen zu finden. Kandidat_innen sollen unabhängig von den sonst üblichen Bewerbungsunterlagen so ihr volles Potenzial ausschöpfen und ihre Fähigkeiten demonstrieren können. „Wir haben vor allem die Zielgruppe der Millennials im Blick. Das Programm soll Vielfalt unter den Bewerber_innen fördern“, so Amina Niang, Talent Advisor Early Careers für Unilever Deutschland, Österreich und Schweiz, in einem Interview.
Eine herausragende Kampagne startete auch Jaguar Land Rover bei der Suche nach der nächsten Generation von Weltklasse Electronic & Software Engineers. Im Rahmen eines völlig neuen Recruiting Ansatzes wurde ein Spiel konzipiert, in dem die Bewerber_innen Teil eines großen Ganzen wurden, einer Geschichte. Ähnlich einem „Mission Impossible – Auftrag“ im Comic Stil (designed by Gorlliaz) inkl. James Bond Feeling wurden die Teilnehmer_innen aufgefordert, ein Elektroauto zusammenzusetzen und anschließend einen komplexen Programmiercode zu dechiffrieren. Ein gelungenes Beispiel für die perfekte „Heldenreise“ mit User Experience, passend zu unserer Gesellschaft, in der jede/r ein/e Held_in sein kann/darf (Jaguar Land Rover Kampagne: www.youtube.com/watch?-v=y14EU9LJctY).
Die Zukunft und die Kreativität sind ob der Technik offensichtlich grenzenlos. Stellen Sie sich vor, Sie könnten in dem Unternehmen, in dem Sie zukünftig angestellt sein wollen, schon vor dem Bewerbungsgespräch „arbeiten“. Sie könnten beispielsweise Ihren Tagesablauf planen, Ihre Aufgaben koordinieren, Ihre Ziele festlegen oder sogar Ihre Kolleg_innen kennenlernen. Das wäre doch äußerst hilfreich für die Entscheidungsfindung, die Selbsterkenntnis, die eigene Zukunftsplanung - von der Zeitersparnis ganz zu schweigen!
Oder wie wäre es mit einem virtuellen Arbeitstag mit VR Brille und Controller? Tauchen Sie ein in Ihr zukünftiges Büro und lösen Sie gemeinsam mit Ihren Mitstreiter_innen im Team eine knifflige Aufgabe.
Heißt das, man spielt gegen einen Computer?
„Nein!“ sagt Mag. Ursula Wiesinger, HR Consulting, TU Career Center. „Die damit gemeinten Anwendungen mit spielerischen Elementen sollen den Rekrutierungsprozess effizienter gestalten. Sowohl Unternehmen als auch Kandidat_innen sparen auf diesem Wege nicht nur viel Zeit beim Bewerbungsverfahren ein. Beide Seiten können sich schon vorab ein besseres Bild machen, ob der/die Bewerber_in auch wirklich auf die Stelle passt.“
Algorithmen können also im Rahmen des Auswahlverfahrens im ersten Schritt eine objektive Hilfe sein und Zeit ersparen. Allerdings gilt es hier vor allem den Datenschutz zu berücksichtigen (siehe Datenschutzverordnung). Außerdem ist der Einsatz der Technologie wie überall eine Frage nach dem Maß, zu viel ist „ungesund“. „Dessen sollten sich die Recruiter_innen immer bewusst sein. Denn Empathie, Interpretation und Einfühlungsvermögen sind zumindest derzeit noch menschliche Tugenden. Was die Maschine noch nicht kann, ist, das „Gesamtpaket“ erkennen. Das Zusammenspiel von fachlichem Wissen, Persönlichkeit und Soft Skills ist bis dato noch nicht mit Software herauszulesen“, ist Mag. Wiesinger überzeugt.
Talente und das wahre Potenzial hinter den Bewerber_innen bleiben oft verborgen. Hier sind dann wieder die menschlichen Recruiter_innen gefragt. Ihre Erfahrungen und ihr spezielles Know-how ist von großer Bedeutung.
Punkten Sie mit Ihrer Persönlichkeit
Die Top Talente aus den MINT-Bereichen sind heute gut ausgebildet und haben alle technischen Voraussetzungen. Den Unternehmen geht es vor allem darum, ihr Interesse zu wecken und ihre Soft Skills zu erkennen, um sie entsprechend einsetzen zu können. Im Gegensatz zum Assessment Center, wo meist Leistung im Mittelpunkt steht, können sich Bewerber_innen und Unternehmen mit Hilfe technischer Tools und moderner Formate besser kennenlernen. „Aber Sozialkompetenz, Teamfähigkeit, Empathie – das sind die Voraussetzungen für einen „Perfect Match“ und dass eine langfristige Zusammenarbeit erfolgreich sein kann.
Die wichtigste Frage, die sich die Bewerber_innen in erster Linie stellen müssen ist: Was sind meine Kernkompetenzen und Soft Skills, mit denen ich mich von anderen unterscheide?“, erzählt Mag. Wiesinger aus der Praxis.
Auch Dipl.-Ing. Dr. Peter Krammer, Vorstandsmitglied der STRABAG, ist davon überzeugt: „Wir erwarten uns, dass die Studierenden das Basiswissen vermittelt bekommen haben. Interessant ist, was jede/r mit seiner/ihrer Persönlichkeit und Kreativität in Verbindung mit diesem Basiswissen macht!“
Auch beim „Talente Programm / Bau Praktikum des TU Career Centers“ können Unternehmen und Bewerber_innen einander in einer zwangloseren und spielerischen Atmosphäre begegnen.
„Wir mussten uns als Unternehmen bei den Studierenden des Talente Programms der TU Wien bewerben, wir haben uns selbst auch als Personen einem kritischen Voting, einer ungeschminkten Bewertung gestellt. Und da wir bei Schneider Electric gerne lernen und uns weiterentwickeln, setzte dieser Diskurs mit den Studierenden auch eine fruchtbare, kritische Reflexion bei uns selbst in Gang“, Dr. Maria Resch, Leitung Personal bei Schneider Electric.
„Die Bewerber_innen sind kritischer geworden und prüfen genau, ob ein Unternehmen zu ihnen passt, bei uns haben sie die Möglichkeit dazu“, so Mag. Wiesinger. Für die Teilnehmer_innen gilt hier kein Leistungsdiktat: „Aber sie müssen authentisch sein.“
Steigen Sie einfach online in den virtuellen Karriere-Fahrstuhl ein und boosten Sie sich in eine spannende Berufswelt ...
Zurück zur Übersicht